Lindau steht vor einem Vorhaben, das auf den ersten Blick begrüßenswert klingt: Sechs neue Trinkwasserbrunnen innerhalb der nächsten zwei Jahre, zu Kosten von knapp 80.000 Euro. Der Werkausschuss hat sich mit knapper Mehrheit von 7:6 dafür entschieden. Doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich deutliche Schwächen: Die Standortwahl ist nicht ausgewogen, und die Kosten sind aus kommunaler Sicht überhöht. Zudem wirft die politische Debatte Fragen zur Verantwortung und Gesetzeslage auf — insbesondere vor dem Hintergrund der sogenannten Daseinsvorsorge.
Standortverteilung: Wen man damit erreicht – und wen nicht
Die geplanten Standorte:
- 2026: Therese-von-Bayern-Platz, Maximilianstraße, Skateplatz auf der Hinteren Insel
- 2027: Seehafen, Sina-Kinkelin-Platz, Heidenmauer
- Mögliche Erweiterungen ab 2028: Bahnhof Reutin, Aeschacher Ufer, Wäsen
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Standortverteilung: Wen man damit erreicht – und wen nicht
Die geplanten Standorte:
- 2026: Therese-von-Bayern-Platz, Maximilianstraße, Skateplatz auf der Hinteren Insel
- 2027: Seehafen, Sina-Kinkelin-Platz, Heidenmauer
- Mögliche Erweiterungen ab 2028: Bahnhof Reutin, Aeschacher Ufer, Wäsen
Kritikpunkte zur Standortwahl
- Zentralitätsfokus vs. Ausgewogenheit
Die ersten Brunnen sollen nahezu ausschließlich in der Innenstadt, auf der Insel und unmittelbar am See stehen. Auf dem Festland, in Randbezirken oder entlang wichtiger Verkehrsachsen (z. B. am Bahnhof Reutin) ist erst “bei Bewährung” die Rede von einer Ausweitung. Wer nicht ohnehin in der Innenstadt unterwegs ist, profitiert also kaum. Bürger in Wohngebieten außerhalb des Zentrums könnten leer ausgehen. - Fehlender Zugang in starken Frequenzbereichen
Orte mit hoher Aufenthaltsdichte wie Einkaufsstraßen, Parkanlagen oder Schulwege sind kaum berücksichtigt. Auch der Bahnhof Reutin — ein Verkehrsknotenpunkt — erst als Option ab 2028 genannt. In Städten mit ähnlichen Projekten gilt: Die Brunnen möglichst dort platzieren, wo Menschen häufig unterwegs sind (Öffentlicher Raum, Busstationen, Plätze) — nicht nur in touristischen Zonen. - Symbolwirkung ist größer als Nutzwert
Die Standorte am Seehafen oder auf der Insel mögen attraktiv sein und ein Zeichen setzen. Doch auf welche tägliche Nutzung ist dort zu hoffen? Besonders in kühlen Jahreszeiten sind diese Orte möglicherweise wenig frequentiert. Bequemerer Zugang im Stadtgebiet bleibt oft ausgeklammert. - Gefahr der Verzögerung bei Erweiterung
Dass Neubauten erst “bei Bewährung” auf das Festland kommen sollen, setzt voraus, dass die ersten Brunnen tatsächlich durch Nutzung überzeugen. Doch schon die erste Phase kann in ihrer eingeschränkten Raumwirkung scheitern — und dann wird das Projekt in den Folgejahren kaum ausgeweitet.
Fazit: Die Standortverteilung spiegelt eher eine touristische oder repräsentative Interessenlage als eine Alltagsversorgung aller Lindauer mit freiem Trinkwasser wider.
Kosten: Zu hoch für sechs Brunnen?
Nach den vorliegenden Zahlen:
- Anschaffungskosten pro Brunnen: ca. 13.000 Euro
- Laufende Kosten pro Brunnen (jährlich): ca. 2.500 Euro
- Gesamtkosten für sechs Brunnen: knapp 80.000 Euro
Warum diese Kosten stechend wirken
- Hohe Fixkosten & laufende Belastung
Bei solchen Vorhaben ist stets zu hinterfragen: Ob die Betriebskosten über die Zeit tragbar sind (Wartung, Reinigung, Inspektion, ggf. Reparaturen). Ein Jahressatz von 2.500 Euro pro Brunnen entspricht bei sechs Brunnen zusätzlich 15.000 Euro pro Jahr – das ist kein Pappenstiel für den kommunalen Haushalt. - Vergleich mit anderen Projekten und Förderprogrammen
In Rheinland-Pfalz etwa werden Trinkbrunnen mit Investitionskosten zwischen 8.000 und 15.000 Euro pro Anlage bezuschusst; dazu kommen Unterhaltskosten.
In manchen Regionen (z. B. Bayern) existieren Förderprogramme, die bis zu 90 % der Projektkosten übernehmen.
Wenn Lindau aus eigener Tasche nahezu 13.000 Euro je Anlage aufbringt, ist die Frage berechtigt, ob Fördermittel nicht stärker genutzt werden könnten oder ob man standardisierte, kostengünstigere Modelle prüfen sollte. - Risiko bei Ausnutzung & Wirtschaftlichkeit
Wenn ein Brunnen wenig genutzt wird, verteilen sich die Fixkosten auf wenige Nutzungen — der Nutzen-Kosten-Faktor sinkt dramatisch. Gerade an den touristischen Standorten könnte saisonale Nutzung häufig sein, aber im Winter gering. Damit stehen Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis. - Haushaltslage: ein Argument gegen?
Schon vor zwei Jahren hatte der Ausschuss wegen “schlechter Haushaltslage” von solchen Projekten abgesehen. Jetzt wird argumentiert, dass trotz gebremster Finanzen die GTL diese Brunnen finanzieren könne. Das ist widersprüchlich: Wenn man in guten Zeiten noch gezögert hat, ist jetzt eine besonders sparsame Herangehensweise notwendig – statt großzügiger Großplanung.
Warum wir es „durch die damalige Ampel-Regierung“ aufs Auge gedrückt bekommen?
Der gesetzliche Rahmen: Trinkbrunnen als Daseinsvorsorge
- Seit August 2022 liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, nach dem Kommunen künftig öffentliche Trinkwasserbrunnen zur Verfügung stellen müssen (wenn technisch möglich).
- Das Ziel: Umsetzung der EU-Trinkwasserrichtlinie, die den Zugang zu hochwertigem Trinkwasser im öffentlichen Raum verlangt, wird durch diese Änderung stärker verbindlich in nationales Recht übertragen.
- Die Bundesregierung selbst erklärt, dass die Bereitstellung von Leitungswasser über öffentliche Brunnen künftig Teil der kommunalen Daseinsvorsorge sein soll.
So gesehen: Die Ampel-Koalition hat mit ihrer Gesetzesinitiative den Druck auf alle Kommunen erhöht, öffentliche Trinkbrunnen bereitzustellen — und damit auch auf Lindau.
Daseinsvorsorge – ein schwer kalkulierbares Mandat
- Definition & Gewicht: Daseinsvorsorge bezeichnet staatliche und kommunale Pflichtaufgaben, die das menschliche Leben ermöglichen — darunter Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Energie, Verkehr, Abfall.
- Die Wasserversorgung ist eine zentrale Säule der kommunalen Daseinsvorsorge, und die kommunale Ebene übernimmt traditionell die Verantwortung für Verteilung, Qualität und Zugang.
- Mit der Gesetzesinitiative werden zwar Anforderungen an die Kommunen gestellt, aber Finanzierungs- und Umsetzungsbedingungen bleiben oft offen oder müssen von den Kommunen selbst getragen werden.
Mit anderen Worten: Lindau steht nicht allein vor der Frage “Brunnen ja oder nein” — man steht vor einem neuen gesetzlichen Umfeld, in dem die Pflicht zur Teilhabe an Trinkwasserversorgung stärker betont wird. Aber die Pflicht kommt nicht ohne Kostenlast.
Politisch provoziert: Wem nützt’s – und woran rebelliert man?
- Aus Sicht mancher Kritiker ist das Ganze ein klassischer Fall von Symbolpolitik: Städte sollen öffentlich zeigen, dass sie “grün” und klimabewusst handeln — während die finanzielle Last auf den Kommunen bleibt.
- Kommunen fühlen sich oftmals überfordert durch Bundes- oder Landesvorgaben, wenn die Mittel (Förderungen, Zuschüsse) unzureichend sind oder erst verzögert fließen.
- Claudia Mayer brachte es auf den Punkt: es gibt Vorbilder wie etwa die Stadt Kempten im Allgäu, wo im Rahmen der Initiative Refill Deutschland mehrere Geschäfte und Gastronomiebetriebe mit einem Aufkleber gekennzeichnet sind und kostenlos Leitungswasser in mitgebrachte Trinkflaschen abfüllen. Claudia Mayer verwies auf diese Praxis als Beispiel dafür, wie eine kostengünstige, unkomplizierte Lösung dazu beiträgt, Trinkwasserversorgung, Umwelt- und Klimaschutz miteinander zu verbinden – und dass man durch solche Maßnahmen auch zeigen kann, dass der Zugang zu Trinkwasser eine Selbstverständlichkeit sein kann, nicht nur ein Luxusangebot.
Fazit & Appell
Ja, Lindau sollte sich der Herausforderung stellen, in Zeiten zunehmender Hitzeperioden und Klimawandel den Zugang zu kostenfreiem öffentlichem Trinkwasser zu sichern. Aber:
- Die gewählten Standorte sind unausgewogen und legen den Schwerpunkt auf repräsentative Zonen – nicht auf das Alltagsnetz für die Bürgerinnen und Bürger.
- Die Kosten von ca. 13.000 Euro pro Brunnen plus über 2.500 Euro laufende Kosten wirken hoch, wenn die Nutzung unsicher ist und der Haushalt stark belastet ist.
- Der ‘Druck durch die Ampel’ – also das Gesetzesvorhaben, Trinkbrunnen gesetzlich stärker als Teil der Daseinsvorsorge zu verankern – ist ein realer Grund, warum Lindau sich nun genötigt sieht. Aber dieser Druck darf nicht dazu führen, dass illusorische oder überdimensionierte Projekte gegen reale Haushaltszwänge durchgedrückt werden.
Empfehlung: In einem öffentlichen Diskurs sollte geprüft werden:
- Eine abgestufte Modellphase mit Pilotstandorten, aber mit besonders repräsentativen und frequentierten Plätzen.
- Stärkere Einbindung von Förderprogrammen auf Bundes- oder Landesebene, um die Investitionslast zu dämpfen.
- Eng gestaffelte Kosten-Nutzen-Analysen vor der Ausweitung auf weniger frequentierte Standorte.
- Ein transparentes Auswahlverfahren für Brunnenstandorte unter Einbeziehung von Bürgerinteressen (z. B. durch Umfragen, Nutzungsdaten, Fußgängerströme).